7. Europäische Suzukilehrer-Konferenz, Bericht von Helen Hines

By 13. Dezember 2015IMTEX, News

Brian Lewis unterrichtet Bach

In diesem Jahr begeisterte der amerikanische Geiger und Pädagoge Brian Lewis die Teilnehmer der 7. Europäische Suzuki-Lehrer Konferenz in Remscheid. Brian Lewis war selbst Suzuki-Schüler, Sohn von Alice Joy Lewis, einer in den Vereinigten Staaten sehr bekannten Suzuki-Lehrerin und fühlt sich zutiefst mit seinen ehemaligen Lehrern Dorothy DeLay und Shinichi Suzuki verbunden, deren pädagogisches Erbe er weitergeben möchte. Im folgenden Video spricht Brian Lewis über seine Mutter und ihre weisen Worte im Zusammenhang mit seinen „Übe-Eskapaden“ als Kind:

Im Verlauf der Konferenz konnte der weltweit gefragte Brian Lewis die Teilnehmer aus 21 Ländern durch seine charismatische und begeisternde Art anstecken. Auf seinem umfangreichen Programm stand u. a. eine dreiteilige Unterrichtsserie mit dem Thema „Violinkonzert in a-Moll von J.S. Bach“, ein weiterer Kurs beschäftigte sich mit einer Auswahl der „40 Variationen von Sevcik, op. 3“ sowie Einzel- und Gruppenunterricht mit Schülern und Studenten. Krönender Höhepunkt war das Abendkonzert mit der amerikanischen Pianistin Heidi Curatolo.

Der 1. Satz des Violinkonzerts in a-Moll von J.S. Bach

Der Lehrerkurs mit Brian Lewis war angefüllt von fachlichen Demonstrationen und gab den Teilnehmern immer wieder Gelegenheit, seine neuen Ideen selbst auszuprobieren. In einem rasanten Tempo und mit großem persönlichen Engagement wurden die Teilnehmer „auf Trab gehalten“. Die Kursteilnehmer konnten sowohl das gesamte Repertoire durchspielen als auch mit Klang- und Phrasierungskonzepten experimentieren.

Die Phrasierung beim ersten Tutti

Brian Lewis stellte den Lehrern mehrere Möglichkeiten vor, wie das erste Tutti gestaltet werden könnte. Die wichtigste Überlegung ist hierbei, ob man den Bogen wieder zurückholen oder ihn auf der Saite lassen will. Beide Varianten haben Auswirkungen auf die Phrasierung des Anfangs und entsprechen den beiden gleichermaßen sinnvollen Interpretationsmöglichkeiten, die er bei Suzuki und an der Juilliard School kennengelernt hatte.

Brian Lewis erklärte, dass er bei Suzuki den Bogen immer zurückholen sollte. So sei es leichter, eine gleichbleibende Dynamik zu entwickeln. Außerdem unterstütze diese Bogeneinteilung den exakten Rhythmus mit dem Ergebnis eines besseren Gruppenklanges. Dagegen forderten die beiden Juilliard-Dozenten, den Bogen auf der Saite zu lassen.
Unterschiedliche Lehrer werden meist verschiedene Vorstellungen haben, die aber gleichermaßen sinnvoll sein können. Wir als Lehrer müssen immer prüfen und uns klarmachen, welche Auswirkungen unsere Entscheidungen auf unsere Schüler haben.
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Klang und Bogenhaltung

Die Lehrer sollten ausprobieren, welchen Einfluss unterschiedliche Bogenhaltungen auf den Klang haben können. Wenn wir den Bogengriff beispielsweise insgesamt etwas höher setzen, also den Daumen aufwärts in Richtung Schwerpunkt verschieben, so dass der kleine Finger das Ende des Leders oder der Umwicklung berührt, können wir eine barocke Bogenhaltung nachempfinden und dadurch das Gewicht des Frosches kompensieren. Nachdem die Kursteilnehmer mehrere Passagen mit diesem Bogengriff gespielt hatten, waren sich alle einig, dass diese Haltung ein Gefühl für die Freiheit in Bogenführung und Klang vermittelt und somit neue Möglichkeiten für Phrasierung und Dynamik eröffnet.

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Wenn Schüler von Brian Lewis das Bach-Konzert erlernen, fordert er sie meist auf, sich mit unterschiedlichen Bogenhaltungen und den daraus resultierenden Klangveränderungen zu beschäftigen. Er möchte seine Schüler auf zwei wichtige Bogenstriche vorbereiten, die den Vortrag des Bach-Konzertes auf eine musikalisch deutlich höhere Ebene bringen:

  1. Bogenstriche mit durchgehendem Armgewicht
  2. Bogenstriche mit Gewichtsentlastung am Ende des Striches (dadurch stoppt der Strich auf natürliche Weise und es entsteht ein schwingender Nachklang.)

Beide Bogenstriche werden leichter verstanden und verinnerlicht, wenn die Schüler die Gelegenheit bekommen, mit Klangvarianten und unterschiedlichen Bogenhaltungen zu experimentieren.

Musikalische Strukturen bei Bach

Dorothy DeLay empfahl allen ihren Studenten, sich selbst eine Art „Grundriss“ der Bach-Stücke zu entwerfen. Durch diesen visuellen Überblick und die anschließende Analyse des Aufbaus kann der Schüler die Architektur der Bach-Stücke leichter erkennen und daraus eine große Hilfe für die eigene Gestaltung im Bereich Phrasierung und Dynamik erhalten.

Brian Lewis schlägt vor, diese Vorgehensweise beim Erlernen des Bach a-Moll Konzertes einzuführen, da es die Schüler auf Bachs Solo-Sonaten und -Partiten vorbereitet, die sie vielleicht für den Rest ihres musikalischen Lebens begleiten werden. Der letzte Satz der E-Dur Partita ist seiner Meinung nach der am ehesten geeignete Satz, um unsere Schüler in die Welt von Bachs Solowerken einzuführen.

Nachdem die Grundstruktur des ersten Satzes des Bach a-Moll Konzertes in die Noten eingezeichnet wurde, können wir leicht erkennen, dass das Motiv (Dreierbindung im Aufstrich, Einzelnote im Abstrich) in den Takten 4-7 im gesamten ersten Satz immer wieder erscheint. Wenn wir nach jedem Motiv ein Stopp einlegen, wird die Struktur deutlicher. Wir sollten in dieser Phase die bereits in Heft 1 erlernte Übetechnik „stopp, vorbereiten, spielen“ anwenden, bei der nach und nach die Pausen verkürzt werden bis der Aufbau der gesamten Phrase erkennbar wird.

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Durch die Verbindung von kleineren Elementen entsteht ein größerer, musikalisch zusammenhängender Abschnitt wie z.B. bei den Takten 126 bis 137. Diese können zunächst in vier kleinere Abschnitte aufgeteilt werden.

So ergeben sich automatisch musikalische Gestaltungsmöglichkeiten, die z. B. nahelegen, jeden Abschnitt in einer abweichenden Dynamikstufe zu spielen.
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Vorhalte

Brian Lewis stellte fest, dass der Vorhalt ein wichtiges ästhetisches Konzept darstellt, das unsere Schüler verstanden haben sollten, bevor sie zu den Mozart-Konzerten kommen. Die Definition der appoggiatura ist „Vorschlagsnote“, welche die nächste Melodie-Note verzögert und die Hälfte oder mehr ihres notierten Zeitwertes (s. Oxford Dictionary, 2015) einnimmt. Das Wort stammt von dem italienischen Wort appoggiare, was sich stützen auf oder sich ausruhen bedeutet. Eine der ersten Anwendungen des Vorhalts findet sich in der aus dem Jahre 1642 stammenden italienischen Oper „Die Krönung der Poppea“ von Claudio Monteverdi. Monteverdi verdeutlicht den emotionalen Gehalt des Librettos mit Hilfe des Vorhalts, um fallende Tränen darzustellen. Um den Eindruck fallender Tränen zu erzeugen und sich auf den nicht dem Akkord zugehörigen Ton zu stützen, verwenden Vorschlagsnoten auch häufig ein Diminuendo, das die emotionale Wirkung zusätzlich verstärkt. Bach hat genau dieses in den Takten 26 und 28 im 1. Satz des Bach-Konzertes in a-Moll geschrieben. Hier finden wir den Vorhalt mit dem Diminuendo zu der Melodienote hin:

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Brian Lewis ermutigte die Gruppe, den Vorhalt mit einem Diminuendo zur Melodienote hin zu versehen.

Darüber hinaus sprach er über die beabsichtigte emotionale Wirkung, die sich sowohl bei fallenden als auch bei aufsteigenden Vorhaltsnoten einstellt. Dieser Unterrichtsausschnitt ist im folgenden Video festgehalten:

Der 2. Satz

Die Gestaltung langsamer Sätze

Brian Lewis befragte die Teilnehmer, wie sie ihren Schülern dieses Thema nahebringen würden, denn jeder Lehrer sollte diesen Prozess aktiv einleiten. Jede musikalische Vorstellung, zum Beispiel welche Art des Vibratos verwendet wird (oder ob er es überhaupt einsetzt), ist eine gestalterische Entscheidung. Brian Lewis erklärte den Teilnehmern seine Sichtweise. Er bevorzugt im zweiten Satz überwiegend ein entspanntes Vibrato, das aber nicht zu langsam und zu breit sein solle. Er betonte aber, dass es zahlreiche andere geeignete Gestaltungsmöglichkeiten gäbe.
Die Wahl des Tempos ist eine andere wichtige Entscheidung für den Charakter des Stückes. Häufig bittet Brian Lewis seine Schüler, eine Tempo-Tabelle für alle drei Sätze des Bach-Konzertes anzufertigen und mindestens drei, am besten aber fünf unterschiedliche Aufnahmen, anzuhören und ihre Tempi in die Tabelle einzutragen. Dies soll u.a. das aktive Hören der Schüler fördern und ihnen die vielfältigen Tempomöglichkeiten aufzeigen. Hier finden Sie eine Beispieltabelle:

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Brian erklärt seinen Schülern, dass es in Ordnung sei, andere Tempi als die auf den von ihnen ausgesuchten Aufnahmen auszuwählen – seien sie schneller oder langsamer. Jedoch sollten sie die Tempi immer bewußt auswählen und nie dem Zufall oder nur einem momentanen Gefühl überlassen.

Der 3. Satz

Der Gigue-Strich

Der dritte Satz des Bach-Konzerts in a-Moll hat einen tänzerischen Charakter. Wir sollten diesen deutlich in uns spüren und ihn auch beim Spielen hörbar machen! Brian Lewis führte uns hierzu mehrere unkonventionelle Aktivitäten vor, die bei den Teilnehmern großen Erfolg fanden und unsere Schüler sicherlich auch sehr ansprechen werden. Beispielsweise sollten wir auf einem Bein hopsen und dabei den 3. Satz spielen. Dies war gar nicht einfach, aber es half den Spielern, die tänzerische Bewegung in der Musik zu spüren. Ein anderes Stück, das bestens geeignet ist, am Gigue-Strich und dessen tänzerischem Charakter zu arbeiten, ist die Gigue von Veracini aus Heft 5. Es ist sehr sinnvoll, diese Stück parallel zum Bach-Konzert zu wiederholen.

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Bariolage

Brian Lewis erinnerte uns daran, dass der Bariolagen-Abschnitt im dritten Satz erhebliche Probleme für Schüler verursachen kann und deshalb vorher sorgfältig erlernt werden muss.

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Bariolage ist eine Saitenwechseltechnik, die eine leere Saite beinhaltet, und der Schüler muss, um einen gleichmäßigen Klang auf allen Saiten zu erzielen, sehr bewusst die geeignete Ellenbogenstellung einsetzen.

Wenn man bedenkt, dass auf jeder Saite drei Bogenebenen möglich sind, zum Beispiel A1 (zur D-Saite geneigt), A2 (in der Mittelstellung), A3 (zur E-Saite geneigt), dann gibt es zwölf mögliche Bogenebenen auf der Geige. In den Takten 105 bis 117 müssen wir als Lehrer sorgfältig darauf achten, dass unsere Schüler den Bogen nicht zu weit nach rechts ausrichten, da sonst der Ton E zu dominant wird.

Dies muss jedoch nicht in der ersten Lernphase behandelt werden, sondern erst dann, wenn das Stück schon recht gut erarbeitet ist und nur noch verfeinert wird.

Abschließende Betrachtungen

Brian Lewis beendete seinen Kurs mit wichtigen Anmerkungen. Er sprach über unsere Verantwortung als Lehrer. Wir sind es, die unsere Schüler so führen müssen, dass sie das Beste aus sich herauszuholen können. Wir sollten versuchen, systematisch in kleinen Schritten ihr geigerisches Können aufzubauen, Techniken vorzubereiten und sämtliche Hindernisse, die dem Fortschritt der Schüler im Wege stehen, zu beseitigen. Den Samen für die große Solo-Literatur von Bach pflanzen wir jetzt, beim Erlernen des Bach-Konzertes. Wenn wir es sorgfältig angehen, werden unsere Schüler für den Rest ihres Lebens davon profitieren können. Daher müssen wichtige geigerische Grundlagen jetzt abgesichert werden, um eine Weiterentwicklung der Schüler in den kommenden Jahren zu ermöglichen.

Literaturhinweise

Oxford Dictionary (2015). Erhältlich unter: http://www.oxforddictionaries.com/definition/english/appoggiatura [zugänglich seit 1. Dezember 2015].

Sand, B. (2005) Teaching Genius – Dorothy DeLay and the Making of a Musician. New Jersey, USA: Amadeus Press.

 

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Helen Hines
Studio Director of ‘Violin with Helen’ in Reading, United Kingdom

Education

Helen holds an MA in Instrumental Teaching from the University of Reading (where she graduated with distinction), and violin teaching diplomas from Trinity College London (ATCL), and the Associated Board of Royal Schools of Music (DipABRSM).

Website
www.violinwithhelen.co.uk

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8. Europäische Suzuki-Lehrer Konferenz
28. – 31. Oktober 2016
in der Akademie Remscheid

Wir würden uns freuen,
Sie auf der Suzuki-Lehrerkonferenz 2016 begrüßen zu können!

Jeder Suzuki-Lehrer
und jeder interessierte Streicherlehrer
ist herzlich WILLKOMMEN!

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